Immobilienkrise in China: Ist die Evergrande-Liquidation erst der Anfang?
Der hoch verschuldete Immobilienentwickler Evergrande wird liquidiert. Auch andere Baufirmen straucheln – und könnten Chinas Immobilienkrise weiter anheizen.
Für viele Experten war es nur eine Frage der Zeit, und nun gab es Vollzug: Die China Evergrande Group wird liquidiert – der größte Immobilienentwickler Chinas und das weltweit am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen soll Geschichte sein. Das hat ein Gericht in Hongkong am Montag angeordnet und damit ein mehr als zwei Jahre währendes Tauziehen um das mit über 300 Mrd. Dollar verschuldete Unternehmen beendet. "Genug ist genug", sagte Richterin Linda Chan. Das Immobilienunternehmen habe es in anderthalb Jahren nicht geschafft, einen konkreten Restrukturierungsplan vorzulegen.
Es ist das nächste Kapitel in der chinesischen Immobilienkrise und ein weiterer Dämpfer für die ohnehin schwache Konjunktur im Land. An den Börsen im Land geht es seit Monaten abwärts, auch angeordnete Stützungskäufe der chinesischen Regierung ändern daran kaum etwas. Der Kurs der Evergrande-Aktie fiel nach dem Urteil am Montag ins Bodenlose, ihr Handel wurde an der Hongkonger Börse ausgesetzt.
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Viele Beobachter fragen sich jetzt: Bleibt es bei Evergrande, oder zieht das Unternehmen noch weitere Immobilienentwickler mit sich nach unten? Analysten jedenfalls rechnen damit, dass die Evergrande-Auflösung Auswirkungen auf weitere Baukonzerne und die generell angeschlagenen Märkte in China haben wird.
Liquidations-Entscheidung für Märkte wenig überraschend
Am Montag schien es zunächst so, als ob der Markt nicht an einen Domino-Effekt glaubt. Denn wenngleich die Evergrande-Aktien abrutschten, büßte die Börse in Schanghai zum Wochenauftakt nur knapp ein Prozent ein, genau wie der Index der wichtigsten Unternehmen in Schanghai und Shenzhen. Investoren scheinen das Urteil eingepreist zu haben. Evergrande galt durch seine Milliarden-Schulden im Ausland schon seit Jahren als Wackelkandidat. Die Märkte hatten also genügend Zeit, um sich auf dieses Szenario vorzubereiten.
"Der Markt hatte damit gerechnet, weil Evergrande keine neuen Anleihen ausgeben kann, um seine bestehenden Schulden zu verlängern", sagte Analyst Willer Chen von der Investmentfirma Forsyth Barr zu Capital. "Evergrande kann sich nur auf einen Schulden-zu-Eigenkapital-Swap dreier börsennotierter Unternehmen verlassen – was für ausländische Gläubiger nicht attraktiv ist." Nun seien alle drei Aktiengesellschaften vom Handel ausgesetzt und die "Evergrande-Saga" vorerst beendet.
Über 300 Mrd. Dollar Schulden hat Evergrande und damit so viele wie keine anderes Immobilienunternehmen auf der Welt. Die Vermögenswerte belaufen sich auf eine Höhe von 240 Mrd. Dollar und sollen nun liquidiert werden.
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Noch vor wenigen Jahren galt der chinesische Immobilienentwickler als einer der größten der Welt. Doch Ende des Jahres 2021 wurde Evergrande zum Symbol der Schuldenkrise im chinesischen Immobiliensektor. Der Konzern geriet damals mit seinen Auslandsschulden in Verzug und beantragte Insolvenz. Konkret ging es um 23 Mrd. Dollar, die sich das Unternehmen auf den internationalen Märkten geliehen hatte und nicht zurückzahlen konnte. Zwei Jahre lang rang Evergrande mit einer einflussreichen Gruppe von Gläubigern im Ausland um eine Umschuldung, darunter auch mehrere Hedgefonds – doch vergebens.
Im September wurden dann auch noch Ermittlungen gegen den Evergrande-Gründer Hui Ka Yan bekannt, woraufhin der Gläubigerausschuss den ursprünglichen Umschuldungsplan sowie neue Restrukturierungspläne mehrmals ablehnte.
Macht die Evergrande-Auflösung Schule?
Christian Henke, Analyst beim Online-Broker IG, hält es für möglich, dass nun weitere Unternehmen aus dem Bausektor in eine ähnlich schwierige Lage wie Evergrande kommen – und so die Immobilienkrise in China weiter anheizen. Denn auch andere börsennotierte Baukonzerne wie China State Construction und Country Garden haben weit mehr als 250 Mrd. Dollar Schulden. "Mit dem Konkurs des Immobilienkonzerns wurde viel Vertrauen bei den internationalen Investoren verspielt", sagt Henke. "Nun gilt es, dieses wieder zurückzugewinnen."
Ob weiteren Immobilienfirmen die Abwicklung droht, hängt Analyst Chen zufolge nun vor allem von Umsetzung und Ergebnis der Evergrande-Auflösung ab. "Die Liquidation von Evergrande könnte ein Beispiel für jene Entwickler sein, die sich in einem Umstrukturierungsprozess befinden" sagt er. Denn das Ergebnis werde sich auf zukünftige Entscheidungen der Gläubiger auswirken: Wenn die Sanierungsquote bei einer Liquidation höher ist, würden sie diese eher anstreben wollen. Umgekehrt könnte es sinnvoller sein, einen Restrukturierungsplan zu unterstützen.
Vorerst hat die Regierung in Peking angekündigt, den schwächelnden Aktienmarkt mit rund 300 Mrd. US-Dollar zu stützen. Besonders für ausländische Investoren wird der Markt damit zu einem immer unkalkulierbareren Risiko. Immobilien spielen traditionell eine große Rolle in China, sie machen bei der Bevölkerung den wichtigsten Teil ihres Vermögens aus. Seit Längerem befindet sich der Markt nun im Abwärtstrend: Die Bautätigkeit in China ist gegenüber dem Höchststand im Jahr 2020 zuletzt massiv eingebrochen. 2022 lag der Wohnungsbau flächenmäßig 40 Prozent niedriger als im Vorjahr und 2023 erneut mehr als 20 Prozent niedriger, wie das chinesische Statistikbüro angibt.
Schon Anfang 2021 wiesen US-Ökonomen auf Anzeichen einer Blasenbildung am chinesischen Immobilienmarkt hin. Investoren sorgen sich nun vor allem darum, dass sich die Immobilienkrise auf den Bankensektor mit seinen ausstehenden Krediten ausweiten könnte.
Dieser Artikel erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern Teil von RTL Deutschland ist.