Dossenheim: Die ersten Stolpersteine kommen im Mai
Von Benjamin Miltner
Dossenheim. Den Opfern des Nationalsozialismus ihren Namen zurückgeben. An Menschen erinnern, die aus ihrem Leben gerissen und in Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden. Das ist die Mission von Gunter Demnig. Der Kölner Künstler hat seit 1992 mittlerweile über 75.000 Stolpersteine in Deutschland und ganz Europa verlegt. Am 9. Mai kommen zehn weitere dazu – und zwar in Dossenheim. Dann wird an drei Orten der Bergstraßengemeinde der insgesamt zehn durch das NS-Regime verfolgten Dossenheimer Juden gedacht.
Die Verlegung der Steine im öffentlichen Raum hat der Gemeinderat bereits im Dezember 2018 einstimmig genehmigt. Plötzlich ging alles sehr schnell, denn erst wenige Monate zuvor hatte sich nach Vorbild des Nachbarorts Schriesheim auch in Dossenheim eine Initiativgruppe Stolpersteine gebildet. Impulsgeber und Bindeglied war zunächst die katholische Pfarrgemeinde um Ronny Baier, Pfarrer der gemeinsamen Seelsorgeeinheit.
Schnell waren Akteure der evangelischen Kirchengemeinde, des Gemeinderats, der damalige Bürgermeister Hans Lorenz, Vertreter Dossenheimer Vereine und weitere Einzelpersonen mit im Boot. "Das hat uns positiv überrascht, wie schnell wir übergreifend Unterstützung gefunden haben", berichtet Baier. Die Initiative stehe auf breiter Basis. "Die Gruppe schafft wunderbar und wächst beständig."
Zuvor hatte man sich in der Bergstraßengemeinde lange schwergetan mit der Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Opfer. So bemängelte etwa Historiker und RNZ-Mitarbeiter Christian Burkhart die allzu kurze und unkritische Darstellung des Themas im 2016 zum 1250. Jubiläum neu aufgelegten Heimatbuch.
Immer wieder lobend erwähnt wird dagegen das Projekt "Mahnmal" des Jugendgemeinderates, der 2006 mit einem Gedenkstein für die in Dossenheim verfolgten Juden die Grundlage für eine öffentliche Erinnerungskultur geschaffen hat.
Ein historischer Rundgang auf den Spuren der NS-Zeit in Dossenheim und die vierte Stolperstein-Verlegung in Schriesheim: "Das war für uns der Aufhänger, auch in Dossenheim das Thema verstärkt ins öffentliche Leben zu holen", erklärt Baier. Das wird der Initiative spätestens am 9. Mai gelingen, wenn Gunter Demnig höchstpersönlich die ersten Stolpersteine in Dossenheim verlegen wird. Der Projektinitiator wird auch einen Vortrag im Rathaus halten.
Ganz unumstritten sind die Stolpersteine in der Gesellschaft nicht. Charlotte Knobloch etwa, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bezeichnete es wiederholt als "unerträglich", dass auf den Tafeln mit Namen ermordeter Juden mit Füßen "herumgetreten" und das Gedenken an die Opfer "geschändet und beschmutzt" werde. Für Ronny Baier sind die Stolpersteine dagegen "das gelungenste dezentrale Denkmal überhaupt".
Man stolpere sinnbildlich über die Steine, weil sie auffallen. "Man hält an, schaut hin, hält inne, liest und beschäftigt sich mit dem Thema", so Baier. Er finde es wichtig, dass das Gedenken so mitten im Ort unter den Bürgern präsent sei: "Da, wo die Leute daheim waren. Da, wo sie aus ihrem Leben herausgerissen wurden."
In Dossenheim wird nun ein Anfang gemacht – und der Prozess soll weitergehen. Die weiteren Ziele: die Verlegung von Steinen für andere Opfer wie politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zwangsarbeiter, Kriegsdienstverweigerer. Und zuallererst für die Opfer der Euthanasie. "Obwohl hier noch gar nicht systematisch geforscht wurde, hat sich die Zahl der bislang bekannt gewordenen Dossenheimer Opfer des NS-Krankenmordes seit Januar 2019 bereits von sechs auf zwölf Personen verdoppelt", berichtet Historiker Christian Burkhart.
Auch sie haben es verdient, ihren Namen zurückzubekommen. Nicht umsonst zitiert Gunter Demnig immer wieder aus dem Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."
Info: Ein Vortrag der "Initiative Stolpersteine" anlässlich des Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus findet am Montag, 27. Januar, ab 20 Uhr im Rathaussaal statt. Der Vortrag von Birgit Seemann befasst sich mit Eleonore Sterling, deutsch-jüdische Kämpferin gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus.