Reportage Tourist-Trophy-Runde Bentley EXP2 : Pumpen, was das Zeug hält
Im Vergleich zur Tourist Trophy auf der Isle auf Man ist das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring eine gemütliche Kaffeefahrt. Auf der Hatz rings um die malerische Insel riskieren Motorradfahrer jedes Jahr ihr Leben. Wir haben uns ein einem Bentley EX2 auf den Weg gemacht. Jenem Auto, das 1922 die Teamwertung des legendären Rennens gewann.
Warum zur Hölle tun sich Menschen das an? Diese Frage stellen sich Motorsport-Fans jedes Jahr aufs Neue, wenn sich Motorradartisten auf der Isle of Man treffen, um die sich bei der „Tourist Trophy“ zu messen. „Tourist Trophy“! Das klingt wie eine entspannte Runde an einem Juni-Sonntagnachmittag mit Kaffee und Kuchen. Genau das ist die todesverachtende Hatz auf dem 37.730 Meilen (60,718 Kilometer) langen Snaefell Mountain Course nicht. Mit Geschwindigkeiten jenseits der 300 km/h jagen Motorradfahrer auf öffentlichen Straßen, durch Ortschaften, Dörfer sowie um enge Haarnadelkurven und brauchen für eine Runde etwa 17 Minuten. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von circa 132 Meilen pro Stunde (rund 213 km/h). Noch Fragen?
Wer auch nur zehn Zentimeter von der Ideallinie abweicht, schlägt ein“, lautet ein Motto. Motorradfahrer-Garn? Mitnichten. Auch dieses Jahr gab es wieder eine Reihe heftiger Unfälle, nicht jeder verlief glimpflich. Aber wer sich mit seinem Motorrad auf den berüchtigten Asphalt der Insel zwischen England und Irland wagt, weiß, auf was er sich einlässt. Ohne akribische Vorbereitung geht gar nichts. Kleinigkeiten entscheiden über Triumph oder Krankenbett. Wenn es glimpflich ausgeht. Wo werfen die Bäume Schatten und damit der Asphalt kälter? Wo ist es feucht und wo gibt es Grip? „Wenn der mehrfache Motorradweltmeister Valentino Rossi hier ohne Training antritt, wird er Letzter“, sagt Richard „Milky“ Quayle. Der drahtige Mann ist eine Legende auf der Insel. Er ist einer von drei Einheimischen, die die mörderische Hatz gewinnen konnten. Die letzte Triumphfahrt fand 2002 statt, ein Jahr später brach er sich am 31 Mai bei einem Horror-Crash im Streckenabschnitt Ballaspur fast alle Knochen.
Das pixelige Video lässt einen heute noch erschaudern. Der Einschlag bei weit mehr als 200 km/h und die fliegende Puppe (= Milkey) brennen sich unauslöschlich in das Hirn ein. Kein Mensch, dem sein Leben lieb ist, würde sich diesem Höllenritt freiwillig stellen. Mit irrwitzigem Speed über Kanaldeckel und nur Zentimeter an hohen Bordsteinen vorbei, wo jeder Schlenker fast immer in einen kapitalen Abflug endet. Dabei haben die Straßen keinen glattgebügelten Rennasphalt. Wer tut sich so was an? Aber die Piloten auf ihren wahnwitzigen Feuerstühlen sind von einer anderen Gattung. Für sie ist die Gefahr der Kick.
Die 260 Kurven des Rundkurses trennen die Spreu vom Weizen. Wir stellen uns der Herausforderung. Nicht auf zwei Rädern, sondern auf vier. Wir sitzen im Bentley EXP2, eines der Autos des Siegerteams aus dem Jahr 1922. Die Einzelwertung holte damals der Franzose Jean Chassagne in einem Sunbeam – der erste nicht-britische Fahrer, dem dieses Kunststück gelang. Damals wagten sich auch die tollkühnen Männer in ihren rollenden Kisten auf die Insel. Der legendäre Rennwagen ist in blendender Verfassung. Die Pedalanordnung ist anders als gewohnt: Das Pedal der Konuskupplung befindet sich links, die Bremse rechts und das Gas in der Mitte. Das Runterschalten ist eine Prozedur für sich: Kuppeln, Gang auf neutral, kuppeln, Zwischengas und einen der vier Gänge einlegen. Nicht selten begleitet von einem hörbaren Gruß vom Getriebe. Das Synchronisieren per Gasfuß will gelernt sein. Der Beifahrer darf körperlich arbeiten, denn er muss den per Handpumpe den Benzindruck auf zwei psi (Pounds per Square Inch) halten.
Das Steuer übernimmt Keith Downey, nach gut drei Meilen lauert mit Ballagarey ein brutal schnelles Eck, die den Motorradartisten schon alles abverlangt. Unser Bentley nimmt die Kurve mit 90 km/h. Maximal schafft der Bentley um die 120 km/h. Für einen hundertjährigen Veteranen eine ganze Menge. Wir überschreiten selten die 100 km/h beziehungsweise 60 mp/h. Keith kurbelt, wir pumpen, bis der Arzt kommt, sobald die Nadel anfängt zu zittern. Der Dreiliter-Vierzylindermotor dankt es uns mit einem sonoren Verbrennungsgeräusch. Ganz der britische Gentleman.
Wir passieren den Ort Kirk Michael, das Schild „Please drive carefully“ klingt angesichts der rot-weißen Würfel, die die Fahrer im Falle eines Abflugs auffangen sollen, wie ein freundliches Angebot. Genauso wie die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 30 mp/h und 40 mp/h. Da schert sich beim Duell der Motorrad-Gladiatoren keiner darum. Der Bentley durchrollt die Straßen des Städtchens gelassen. Pumpen nicht vergessen. Weiter geht es rund um die Insel über die Ballaugh Bridge. Wir haben noch Milkys Worte im Ohr. „Wenn man hier die falsche Linie fährt, landet man im Pub!“ Wir fragen uns, wie viele Motorradfahrer unfreiwillig eingekehrt sind. Denn hier heben die Zweiräder aufgrund der irrwitzigen Geschwindigkeit tatsächlich ab.
Weiter geht es auf der gefährlichsten Rennstrecke der Welt, gegen die die Nordschleife des Nürburgrings wie eine Autobahn für Kaffeefahrten wirkt. Eine knifflige Stelle folgt auf die nächste. Fast überall vermeldet die Statistik fatale Unfälle. Die Ramsey Hairpin ganz im Norden ist so eine fiese Haarnadelkurve, in der man gerne mal unfreiwillig absteigt. In der zweiten Hälfte des Rundkurses geht es bergauf, der Wind bläst so heftig, dass die allgegenwärtigen keltischen Flaggen mit den drei Beinen knatternd fast waagerecht flattern. Wir erreichen die Start-Ziel-Gerade in Douglas und sind froh, dass wir nicht auf einem Motorrad unterwegs waren.