Prozess gegen "Reichsbürger": Die denkwürdige Gerichtsshow des Maximilian E.
Kurz vor dem Mammutprozess gegen die mutmaßliche Terrorgruppe um Prinz Reuß steht eine ihrer zentralen Figuren vor Gericht: Maximilian Eder, Oberst a. D. Sein Auftritt lässt erahnen, was das Oberlandesgericht Frankfurt erwartet.
Maximilian Eder nimmt Platz auf der Anklagebank. Er sieht blass aus. Die Luft ist schwer von den vielen Menschen im Saal. Alle Stühle sind besetzt. Eder formt, ans Publikum gewandt, ein Herz mit seinen Händen. Seine Fans applaudieren und jubeln. In Telegram-Gruppen hatten Unterstützer um Beistand im Gericht geworben. "Oberst a. D. Max Eder möchte in dem Verfahren eine umfangreiche Aussage zu seiner Person machen, um Diffamierungen in der Presse entgegenzutreten", hieß es dort. Rund zwei Dutzend sind gekommen.
An diesem Donnerstagmorgen wirft die Generalstaatsanwaltschaft Eder vor, viermal unter Alkoholeinfluss und ohne Fahrerlaubnis mit dem Auto gefahren zu sein. In einem Fall soll er einen Unfall mit Sachschaden in fünfstelliger Höhe verursacht haben. Zwei Tage hat das Gericht für den Fall anberaumt. Solch ein Fall vor einem Amtsgericht interessiert – außer die Betroffenen – normalerweise kaum jemanden.
Dies aber ist kein normaler Fall.
Eder wird demnächst vor dem Frankfurter Oberlandesgericht stehen. Er ist Angeklagter in einem der größten Terrorverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts war er einer der zentralen Akteure der mutmaßlichen Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Er sieht den Bundeswehroberst a. D. als Mitgründer einer Gruppierung an, die laut Anklage mit Waffengewalt die Bundesregierung stürzen und selbst die Macht übernehmen wollte.
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Es geht für Eder, Mitte 60, in Frankfurt womöglich um die Frage, ob er in seinem Leben noch einmal einen Tag in Freiheit verbringen wird.
In München ist zu besichtigen, dass er eher nicht gewillt ist, schweigend auf der Anklagebank zu sitzen und nur zuhören wird, wie andere über ihn sprechen.
Eine Stunde vor Prozessbeginn stehen zwei Frauen vor dem Gerichtssaal und warten. Eine der beiden, eine ältere Dame, Typ Großmütterchen, erzählt, sie sei extra aus Tirol angereist. Man spricht über "die Lügenpresse", über Pädokriminalität, die der Staat nicht verfolgen würde und angebliche Mordanschläge auf Eder. Die Frau habe Eder zum ersten Mal vor drei Jahren getroffen, sagt sie. "Ich habe ihn als ganz lieben Kerl kennengelernt", sagt sie.
"Nehmen Sie Ihren Scheiß da weg!"
Wer in den Gerichtssaal will, wird gründlich durchsucht. Bei Eders Unterstützern kommt das nicht gut an. Eine Frau Mitte 40, wird von den Justizbeamten nicht in den Saal gelassen, sie ist ohne gültigen Personalausweis gekommen. Sie schimpft über eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft." Das wisse sie als "Weltanwältin" genau. Was genau sie damit meint, bleibt nicht nur den Justizbeamten ein Rätsel.
Im Gerichtsaal geht es hitzig weiter. "Nehmen sie Ihren Scheiß da weg", pöbelt ein Mann eine Reporterin an, die ihre Jacke an einer Stuhllehne abgelegt hat.
Ein Besucher ruft in Richtung eines Fotografen: "Ach, der Antifaschist ist auch da."
Das in etwa ist der Ton dieses Tages.
Es folgt: Auftritt Maximilian Eder.
"Herr Eder", sagt sein Anwalt Dalla Fini gleich am Anfang, wolle sich ausführlich zu seiner Person äußern.
Eder sitzt vor seinen beiden Verteidigern, er richtet sein Mikrofon und klappt einen Laptop auf.
Es fühle sich menschlich an, sagt Eder, endlich wieder einmal geliebte Menschen zu sehen, ohne Trennwand. "Endlich kann ich mich wieder einmal als Mensch fühlen." Seine Worte rollen in breitem bayerischen Dialekt dahin.
Maximilian Eder hört sich offenbar gerne beim Sprechen zu
Es ist der Auftakt zu einem mehrstündigen Monolog, in dem Eder Einblicke in sein Leben gibt. Er hangelt sich von Dienstgrad zu Dienstgrad seiner Bundeswehrlaufbahn, verheddert sich in Anekdoten, verliert sich in Details.
Maximilian Eder, das wird im Gerichtssaal nach wenigen Sätzen klar, hört Maximilian Eder offenbar gerne beim Sprechen zu. Man konnte das früher schon auf Corona-Demos beobachten. Videos zeigen, wie Eder auf Staat und Politik schimpfte. Manchmal hielt er zwei Mikrofone gleichzeitig vor seinen Mund.
Irgendwann verliert die Vorsitzende Richterin die Geduld. "Können Sie sich vielleicht ein bisschen kürzer fassen?", fragt sie.
Eder aber redet sich in Rage. An einer Stelle spricht er von einer dreitägigen Unterrichtslektion in politischer Bildung, Anfang der 90er-Jahre, bei "nur 25 Mark Verköstigung".
Die Richterin fragt: "Inwiefern ist das jetzt wichtig für die Trunkenheitsfahrt im Jahr 2022?"
"Weil wir an diesen Abenden zugegebenermaßen wahnsinnig viel getrunken haben", sagt Eder. Gelächter im Saal. Auch die Richterin wirkt amüsiert.
Die Verschwörungserzählung
Eder taucht ab in eine düstere Verschwörungserzählung, die ihn schon länger umtreibt und Teil des Terrorprozesses sein wird. Er spricht von "ritueller satanistischer Pädophilie", von Kindern, die angeblich entführt und missbraucht würden.
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Nach Stunden kommt Eder auf seine schwierige Kindheit zu sprechen und belastende Erfahrungen in Kriegsgebieten, und man hat das Gefühl, dass er nun tatsächlich einmal etwas erklärt. Er stamme aus kleinen Verhältnissen. Die Eltern, streng katholisch, hätten gewollt, dass er Pfarrer werde. Als er zehn gewesen sei, sagt Eder, sei sein Vater "in eine Alkoholabhängigkeit" geraten. Mit 13 sei seine Mutter tödlich verunglückt, ein Autounfall. Eder sinkt in seinem Stuhl zusammen, seine Stimme wird brüchig.
Später, als Soldat sei er unter anderem im Kosovo und in Afghanistan gewesen. Bei seinen Einsätzen habe er Belastendes sehen und hören müssen; Eder spricht von zerstückelten Leichen, vergewaltigten Frauen, von hohem Druck bei Einsätzen.
Der Alkohol habe in belastenden Situationen seines Lebens immer wieder eine Rolle gespielt, sagt Eder.
"Spürbar wurde es für mich in der Coronazeit." Seine Frau habe sich zuvor von ihm getrennt, eines sei zum anderen gekommen.
Die Probleme und der Alkohol
"In dieser Phase dachte ich: Ich halte das nicht mehr aus. In so einer Gesellschaft will ich nicht mehr leben." Er habe in dieser Zeit exzessiv getrunken. Es ist jene Zeit, in die auch die Fälle von Trunkenheit fallen, deretwegen er in diesem Gericht ist.
Nach der Mittagspause nimmt der Prozess eine plötzliche Wendung. Eder ist müde. Er wolle ein Geständnis ablegen, sagt er. "Ich habe in den vergangenen Nächten nur zwei-drei Stunden geschlafen. Ich kann nicht mehr." Die Untersuchungshaft, sagt er, mache ihm sehr zu schaffen. Die Fälle von Trunkenheit im Straßenverkehr räumt er nach kurzer Beratung mit seinem Rechtsanwalt ein. Er sagt, er wolle noch ein paar Sachen erledigen, danach seien seine Aufgaben in diesem Leben erfüllt. Während Eders Zeit in Untersuchungshaft notierte man in der Justizvollzugsanstalt Landshut, er sei suizidgefährdet.
"Die Wahrheit kommt ans Licht, Max! Die Wahrheit!", ruft eine Zuschauerin, als breitschultrige Justizbeamte Eder umringen und einer ihm Handschellen anlegt. Der lächelt, als er aus dem Saal geführt wird.
Das Urteil soll am kommenden Dienstag fallen. Aber Eders Auftritt an diesem Tag gibt womöglich schon eine Idee, auf was sich die Richter in Frankfurt einstellen können. An diesem Tag wirkt Maximilian Eder wie ein der Erde entrückter Mensch.